Fallopia x bohemica
1 Beschreibung der Art
Fallopia x bohemica (Chrtek & Chrtková) J. P. Bailey (Polygonaceae), Bastard-Knöterich
1.1 Aussehen
Ausdauernder Rhizomgeophyt mit hohlen kräftigen Stängeln, die bis zu 4 m hoch werden können und in der Regel dichte, oft ausgedehnte Bestände bilden. Diese Hybride aus F. japonica und F. sachalinensis zeigt intermediäre Merkmalsausprägungen zwischen den Elternarten: Die Blätter des Hauptsprosses werden bis 25 cm lang und 18 cm breit (die der Seitenzweige sind kleiner), haben meist einen leicht herzförmigen Blattgrund und kürzere Haare auf der Blattunterseite als F. sachalinensis, die jedoch noch mit bloßem Auge erkennbar sind. Die weiblichen Blütenstände hängen leicht bogig über, die männlichen sind aufrecht.
Floraweb-Fotos der Art
1.2 Taxonomie
Die Hybride wurde erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in Europa entdeckt und zum ersten Mal 1983 von Chrtek und Chrtková aus Böhmen beschrieben. In Großbritannien und in Deutschland wurden Pflanzen mit unterschiedlichen Chromosomenzahlen gefunden, was darauf hinweist, dass unterschiedliche Kreuzungen F. x bohemica als Ergebnis haben. So ist F. japonica sowohl in der var. japonica als auch in der var. compacta als Elternsipppe aufgetreten. Auch Rückkreuzungen mit den Elternsippen sind vorgekommen.
1.3 Herkunftsgebiet
Fallopia x bohemica ist in Europa als Kreuzung entstanden. Aus dem Heimatgebiet der Elternarten ist die Hybride nicht bekannt.
1.4 Biologie
Fallopia x bohemica baut aus unterirdisch verlaufenden Rhizomen dichte Bestände aus krautigen Stängeln auf. Die Bestände breiten sich durch Rhizomwachstum aus. Aus Rhizom- und Sprossfragmenten können Kolonien entstehen. Das Potential zur vegetativen Regeneration ist bei der Hybride höher als bei den Elternarten. Obwohl die Hybride keimfähige Samen produziert, ist wie bei F. japonica anzunehmen, dass die meisten Bestände aus vegetativer Vermehrung und der Ausbreitung von Spross- und Rhizomstücken stammen.
2 Vorkommen in Deutschland
2.1 Einführungs- und Ausbreitungsgeschichte / Ausbreitungswege
Diese Hybride wurde in den ursprünglichen Überschneidungsgebieten nicht gefunden, sondern ist durch Kreuzung in Europa entstanden, bzw. entsteht auch heute noch, wenn Pollen von F. sachalinensis auf Narben von F. japonica trifft. Ob die Hybride auch beabsichtigt angepflanzt wurde, ist nicht bekannt, ebenso wenig, wann sie zum ersten Mal entstanden ist; beschrieben wurde sie erst 1983.
2.2 Aktuelle Verbreitung und Ausbreitungstendenz
Fallopia x bohemica ist bis vor Kurzem den meisten Botanikern nicht bekannt gewesen, so dass diese Pflanze je nach Merkmalsausprägung als eine der Elternarten kartiert wurde. Die heutige Verbreitung ist damit nicht ausreichend bekannt. Es ist anzunehmen, dass die Hybride mindestens so häufig ist wie F. sachalinensis. Ebenso wie die Elternarten gilt F. x bohemica in Deutschland wegen ihres Vorkommens in naturnaher Ufervegetation als Agriophyt.
Verbreitungskarte aus FloraWeb
2.3 Lebensraum
Das Lebensraumspektrum von F. x bohemica entspricht dem der Elternarten: Sie kommt schwerpunktmäßig an den Ufern von Fließgewässern vor. Dominanzbestände entwickeln sich vor allen an gehölzfreien Uferabschnitten, wo sie in Staudenfluren eindringt und deren Platz einnimmt. Ebenso kommt sie auf urban-industriellen Brachflächen, an Straßenrändern, Böschungen und in nicht mehr regelmäßig gemähtem Grünland vor. In Wäldern oder unter dem Schirm von uferbegleitenden Gehölzen ist sie weniger starkwüchsig, kann hier aber auch dauerhaft vorkommen.
2.4 Status und Invasivität der Art in benachbarten Staaten
Detaillierte Untersuchungen über F. x bohemica liegen aus Tschechien und England vor, wo sie ebenso wie in Deutschland in ihrer Häufigkeit bisher unterschätzt wurde und recht verbreitet ist. Ähnliches ist für andere Nachbarländer zu vermuten. In Österreich wird sie als "potenziell invasiv" angesehen.
3 Auswirkungen
Durch sein kräftiges Wachstum mit Wuchshöhen von 4 m und den Aufbau dichter Dominanzbestände gehört auch der Bastard-Knöterich zu den auffälligsten Neophyten. Wenn auch, wie bei anderen Neophyten, seine Auswirkungen nicht oft detailliert beschrieben sind, ist die hohe Konkurrenzkraft der Knöterich-Sippen für den Naturschutz problematisch. Dominanzbestände an Flussufern verursachen außerdem wasserbauliche Probleme. Beides gilt aber nicht für sämtliche Wuchsorte der Knöterich-Sippen: Meist sind von der Verdrängung nur häufige Arten betroffen, und viele Bestände auch an Flüssen bleiben ohne Effekt auf die Abflussdynamik. Die Veränderung des Landschaftsbildes durch die hochwüchsigen Pflanzen ist jedoch meist auffällig.
3.1 Betroffene Lebensräume
Für den Naturschutz bedeutend sind vor allem die Bestände an den Ufern kleinerer Fließgewässer, vor allem in Flussbereichen, in denen flussbegleitende Gehölze gerodet wurden.
3.2 Tiere und Pflanzen
Dichte Knöterich-Bestände sind sehr geschlossen und lassen das Wachstum anderer Pflanzen nur sehr begrenzt zu. Häufig können nur Frühjahrsblüher dauerhaft mit ihm koexistieren, andere Pflanzen werden auf kleinwüchsige Reste vor allem am Rande der Bestände reduziert. Durch das zentrifugale Wachstum dringt der Knöterich auch in intakte Bestände anderer Pflanzen ein.
Meistens sind an den Flussufern häufige Arten nitrophiler Staudenfluren wie Pestwurz, Brennnessel und Zaunwinde von der Verdrängung betroffen.
Der Bastard-Knöterich wird von einigen Blütenbesuchern und Phytophagen angenommen, die Verdrängung einheimischer Nahrungspflanzen kann jedoch zum Rückgang spezialisierter Insekten beitragen, der ist in erster Linie davon abhängt, welche Wirtspflanzen verdrängt werden.
3.3 Ökosysteme
Dominanzbestände der Knöterich-Sippen an Fließgewässern können deren Abflussverhalten stark verändern. Bei Hochwasser können die Bestände oder treibende Stängel den Abfluss verlangsamen. An stark verbauten Flussabschnitten in Südwestdeutschland wurde von einer Erhöhung der Erosionsgefahr durch Knöterich-Sippen berichtet, da die Knöterich-Rhizome den Boden schlechter fixieren als z.B. Gräser.
3.4 Menschliche Gesundheit
Keine Auswirkungen bekannt oder zu erwarten.
3.5 Wirtschaftliche Auswirkungen
Vor allem aus England und Deutschland sind vielfältige wirtschaftliche Folgen der Staudenknöterich-Arten beschrieben worden. Sie betreffen direkte Schäden an Gebäuden und Uferbefestigungen und Bekämpfungskosten an Ufern, auf Gleisanlagen und in Bauland. Für die Bekämpfung gibt es einerseits Berechnungen der tatsächlichen Kosten, andererseits Hochrechnungen darüber, was die Beseitigung in ganz Deutschland kosten würde.
Rhizome der Knöterich-Sippen können in kleine Ritzen von Mauerwerk, Asphalt, etc. eindringen und diese durch ihr Dickenwachstum sprengen. Dadurch sind vor allem Hochwasserschutzbauten, Schleusen und Dämme an Ufern betroffen. Aber auch Straßen, Parkplätze und sogar die Fundamente von Häusern können so beschädigt werden. Die Notwendigkeit kostspieliger Reparaturen besteht oft für lange Zeit, wenn der Knöterich nicht erfolgreich bekämpft wird.
Die Schäden an Deichen wiegen am schwersten. In den Jahren 1991 und 1992 entstand z.B. an mit Staudenknöterich bewachsenen Deichen in Baden-Württemberg, im Bereich der Gewässerdirektion West-Südwest, ein einmaliger Schaden von über 20 Millionen DM. Für ganz Deutschland ist im Schnitt für die Beseitigung von Uferabbrüchen durch Fallopia mit ca. 7 Mio. jährlich zu rechnen.
Ein wesentlicher Anteil an den wirtschaftlichen Auswirkungen besteht in den Bekämpfungskosten. In Großbritannien wurde berechnet, dass diese auf Bauland zwischen 14 und 50 Pfund/m² (=ca. 20-70 €) betragen können.
Für Deutschland wurden die Kosten für die Beseitigung von Fallopia an Gleisanlagen auf 2,4 Mio. Euro geschätzt. Wollte man sämtliche Knöterichbestände in Deutschland bekämpfen, kämen dadurch Kosten von 6,2 Mio. plus 16,7 Mio. Euro für die nachfolgende Ufersicherung zustande.
4 Maßnahmen
Alle drei hier besprochenen Knöterich-Sippen gehören wegen ihrer auffälligen Dominanzbestände und wegen der vielfältigen Auswirkungen zu den prominentesten Problemneophyten. Die Schwere der von ihnen verursachten Auswirkungen rechtfertigt sowohl eine strikte Vorbeugung als auch Bekämpfungsmaßnahmen. Eine landesweite Bekämpfung ist jedoch weder angebracht noch praktikabel, im Einzelnen kann jedoch die Bekämpfung aus Naturschutzgründen oder wasserbaulich sinnvoll sein. Da die Pflanzen wegen ihrer großen Regenerationsfähigkeit nur mit großem Aufwand bekämpft werden können, ist genau zu prüfen, ob eine Bekämpfung Erfolgsaussichten hat, und ob im Einzelfall das Ziel den Aufwand rechtfertigt.
4.1 Vorbeugen
Das Ausbringen von gebietsfremden Pflanzen in der freien Natur ist nach dem Bundesnaturschutzgesetz (§ 40 Abs. 4) grundsätzlich genehmigungspflichtig. Auf jede Anpflanzung der ostasiatischen Knöterich-Sippen sollte verzichtet werden. Dies gilt vor allem für die freie Natur und solche Flächen in Siedlungen, die in der Nähe von Gewässern liegen. Große Aufmerksamkeit sollte auf die Vermeidung von unbeabsichtigter Ausbringung gerichtet werden, da die Arten bisher häufig mit Erde, Baumaterial und –maschinen, Gartenabfällen usw. ausgebreitet werden. Zur Vorbeugung einer weiteren Ausbreitung, sollten Einzelbestände an Fließgewässersystemen, die ansonsten frei von Fallopia spp. sind, vorrangig bekämpft werden.
4.2 Allgemeine Empfehlungen zur Bekämpfung
Bei allen Bekämpfungsmaßnahmen ist zu beachten, dass der Energievorrat der Pflanze vor allem in den Rhizomen steckt. Die bloße Vernichtung oberirdischer Pflanzenteile kann deshalb höchstens langfristig zum Zurückdrängen führen. Bei allen Methoden ist mit mehrjährigen Nacharbeiten zu rechnen. Daneben ist bei Maßnahmen zu beachten, dass nicht etwa Rhizomteile mit Geräten oder mit Erdaushub weiter ausgebreitet werden.
4.3 Methoden und Kosten der Bekämpfung
Gegen die Fallopia-Arten sind in Europa vielfältige Bekämpfungsmaßnahmen entwickelt und erprobt worden. Im Einzelnen gibt es mechanische, chemische und ingenieurbiologische Verfahren.
Durch Mahd kann der Knöterich zurückgedrängt werden. Dazu ist in den ersten Jahren eine Frequenz von acht Mal pro Jahr sinnvoll. Die Kosten dafür wurden in Südwestdeutschland mit 2.800 € pro Hektar ermittelt. Die durch häufige Mahd entstehenden dichten Grasnarben sind für den Hochwasserschutz, nicht jedoch aus Naturschutzsicht erstrebenswert. Ähnliche Ergebnisse lassen sich durch Schafbeweidung erreichen, deren Kosten mit 358 € pro Hektar angegeben werden.
Das Ausgraben von Rhizomen ist kaum Erfolg versprechend, da die Rhizome bis zu 2 m tief liegen können. Bei der Entsorgung von Bodenmaterial mit Fallopia-Rhizomen ist sicherzustellen, dass diese nicht an anderer Stelle wieder austreiben. Dies ist durch Kompostierung unter Zugabe von Frischkompost möglich. Eine Überdeckung mit Erde muss deutlich über 2 m stark sein, um die Rhizome am Austreiben zu hindern.
Gute Erfahrungen wurden in Südwest-Deutschland mit dem Verbau von Weidenspreitlagen an Flussufern gemacht. Die Weiden behindern das Nachwachsen des Knöterichs und dienen gleichzeitig dem Hochwasserschutz.
Der Einsatz von Herbiziden wird z.B. in England empfohlen. Geeignet sind nur Totalherbizide wie Glyphosat, das wegen seiner Wirkung auf Nicht-Ziel-Organismen in Deutschland im Bereich von Gewässern nicht zugelassen ist. Auch Herbizideinsatz macht Nachbehandlungen notwendig. Empfohlen wird eine Kombination von mechanischer und chemischer Bekämpfung, bei der die Bestände zunächst gemäht oder umgegraben und die neuen Triebe mit Herbiziden behandelt werden. Die Kosten für diese Methode werden mit 14 Pfund (=ca. 20 €) /m² angegeben.
5 Weiterführendes
5.1 Literatur
- Alberternst, B. (1998): Biologie, Ökologie, Verbreitung und Kontrolle von Reynoutria-Sippen in Baden-Württemberg. – Culterra 23, 198 S.
- Alberternst, B., Bauer, M., Böcker, R. & Konold, W. (1995): Reynoutria-Arten in Baden-Württemberg - Schlüssel zur Bestimmung und ihre Verbreitung entlang von Fließgewässern. - Flor. Rundbr. 29:113-124.
- Kowarik, I. (2003): Biologische Invasionen: Neophyten und Neozoen in Mitteleuropa. - Ulmer, Stuttgart. S. 215 ff.
- Pude, R.; Franken, H. (2001): Reynoutria bohemica - eine Alternative zu Miscanthus x giganteus? - Die Bodenkultur 52 (1): 19-27. belegt die (Nicht-)Eignung der Art als nachwachsender Rohstoff
5.2 Bearbeitung
Dieser Artensteckbrief wurde 2003 erstellt von:
Dr. Uwe Starfinger & Prof. Dr. Ingo Kowarik, Institut für Ökologie der TU Berlin
letzte Aktualisierung: 02.08.2011 (Stefan Nehring)