Helianthus tuberosus
1 Beschreibung der Art
Helianthus tuberosus L. (Asteraceae), Topinambur
1.1 Aussehen
Der (auch: die) Topinambur ist eine ausdauernde Sonnenblume mit unterirdischen Ausläufern, die in länglich-spindelförmigen oder rundlichen Knollen enden. Die Knollen können kartoffelartig aussehen, sind aber an den Ringen aus Schuppenblättern zu erkennen. Die bis 3 m hohen Stängel sind rund und rau behaart. Die breit-eiförmigen, gestielten Laubblätter sind derb, oberseits rau, unterseits fein weichhaarig, am Ende in eine Spitze ausgezogen. Sie stehen im unteren Teil des Stängels gegenständig, im oberen wechselständig. Die Blütenköpfchen von 4-8 cm Durchmesser stehen in einer lockeren Rispen und bestehen aus schmutzig-gelben Scheibenblüten auf einem fast flachen Köpfchenboden und dunkelgelben Randblüten. Neben der einjährigen Sonnenblume H. annuus mit meist purpurnen Scheibenblüten werden verschiedene andere ausdauernde Arten gepflanzt und verwildern gelegentlich, zu denen die Unterscheidung z.T. schwierig ist und Bestimmungsbücher voraussetzt.
Floraweb-Fotos der Art
1.2 Taxonomie
Die Gattung enthält ca. 70 einjährige, ausdauernde und strauchige Arten in Nord- und Südamerika. Die Taxonomie der Gattung ist nicht vollständig geklärt. Auch über das Vorkommen von verwandten Arten in Deutschland gibt es widersprüchliche Angaben. Zum Teil wird H. tuberosus deshalb als Aggregat behandelt, in das auch H. decapetalus, H. rigidus, H. x laetiflorus und H. x multiflorus eingeschlossen werden.
1.3 Herkunftsgebiet
Helianthus tuberosus stammt aus dem zentralen und östlichen Nordamerika. Er wurde hier schon von Indianern angebaut und verbreitet, so dass sein natürliches Areal nicht sicher festzustellen ist. Er kommt hier auf frischen bis feuchten Böden entlang von Bächen und Flüssen natürlich vor und wächst auch an anthropogenen Standorten wie Straßenrändern und in Brachen.
1.4 Biologie
Die selbststerilen Blüten werden vor allem von Bienenverwandten wie Hummeln und von Schwebfliegen bestäubt. Als Kurztagspflanze blüht Topinambur bei uns recht spät, im September bis Oktober. Deshalb reifen die Samen meist nicht aus, so dass die Ausbreitung ausschließlich vegetativ erfolgt. Die Knollenbildung beginnt im Juli oder August und ist im September abgeschlossen. Nach einer Keimruhe treiben aus den Knollen im Folgejahr Sprosse. Mit fließendem Wasser oder durch Nagetiere werden die Knollen natürlich, mit Erdtransporten und Gartenabfällen auch durch Menschen ausgebreitet. Durch die Ausläufer kann Topinambur auch geschlossene Bestände anderer Hochstauden von der Seite her "unterwandern".
2 Vorkommen in Deutschland
2.1 Einführungs- und Ausbreitungsgeschichte / Ausbreitungswege
Die ersten Knollen wurden bereits 1607 nach Europa gebracht. Bald war die Art in mehreren europäischen Ländern bekannt, der erste Nachweis für Deutschland stammt aus einem Garten in Kassel im Jahr 1627. Im 17. Jahrhundert wurde Topinambur wegen seiner essbaren Knollen feldmäßig angebaut. Die Kartoffel hat den Anbau im 18. Jahrhundert dann verdrängt. Heute gibt es noch kleine zerstreute Anbaugebiete vor allem in Baden-Württemberg, wo er zur Schnapsherstellung und als Viehfutter genutzt wird. Topinambur wird noch regelmäßig als Zier- und Nutzpflanzen in privaten Gärten verwendet, zumal die Pflanze als Bio-Nahrungsmittel eine gewisse Renaissance erlebt hat. Außerdem wird Topinambur gern zur Wildäsung ausgebracht.
Verwildert wurde er das erste Mal 1911 in Essen-Kettwig beobachtet. In den 30er Jahren setzte eine Welle der Ausbreitung in Deutschland ein.
2.2 Aktuelle Verbreitung und Ausbreitungstendenz
Topinambur ist heute in Deutschland weit verbreitet. Die größten Vorkommen finden sich in Flussauen in wärmeren Gebieten im Westen und Südwesten. Wegen seiner Vorkommen auch an naturnahen Flussabschnitten gilt er in Deutschland als Agriophyt. Lokal ist in Uferbereichen immer wieder mit neuer Ausbreitung zu rechnen.
Verbreitungskarte aus FloraWeb
2.3 Lebensraum
Helianthus tuberosus wächst an frischen nährstoffreichen Standorten, auf lehmig-tonigem bis zu reinem Sand- oder Kiesboden. Er kommt an Ruderalstellen, Böschungen, an Straßen- und Waldrändern vor; seine Hauptvorkommen liegen jedoch in den Flussauen. Er besiedelt hier die vom Winterhochwasser überfluteten Standorte der Weichholzaue, besonders an gehölzfreien Uferabschnitten. Er kann auch an natürlich waldfreie Stellen bis kurz über der Mittelwasserlinie vordringen.
2.4 Status und Invasivität der Art in benachbarten Staaten
Topinambur ist in verschieden europäischen Ländern verbreitet, gilt aber in den meisten als nicht so problematisch wie andere Neophyten. Während er in Österreich zu den invasiven Arten natürlicher Lebensräume gehört, gehört er in der Schweiz zu den Arten, die lokal Probleme verursachen.
3 Auswirkungen
Dominanzbestände des Topinamburs sind sehr auffällig, die Auswirkungen vieler Bestände auf die Tier- und Pflanzenwelt sind jedoch geringer, als es auf den ersten Blick scheint, vor allem, wenn sie an die Stelle auch sonst artenarmer Hochstaudenfluren treten.
3.1 Betroffene Lebensräume
Große Dominanzbestände entwickeln sich vor allem in Ufersäumen, besonders in gehölzfreien Abschnitten. An uferfernen Stellen bleiben dagegen auch die gepflanzten Bestände eher klein bzw. breiten sich kaum aus.
3.2 Tiere und Pflanzen
In dichten Topinamburbeständen kommen nur wenig andere Pflanzenarten vor, da sie durch Beschattung zurückgedrängt werden. Die vollständige Verdrängung von Arten der Uferstaudenfluren ist jedoch bisher nicht beobachtet worden.
3.3 Ökosysteme
Anders als einheimische Uferpflanzen stirbt Topinambur bei den ersten Frösten oberirdisch vollständig ab. Die tiefliegenden Rhizome können die Bodenoberfläche nicht wie die Feinwurzeln heimischer Uferpflanzen vor den winterlichen Hochwassern schützen. So erhöht Topinambur die Erosion der Ufer, besonders da Mäuse und Bisam den Boden nach den Knollen durchgraben.
3.4 Menschliche Gesundheit
Keine Auswirkungen bekannt oder zu erwarten.
3.5 Wirtschaftliche Auswirkungen
Die erhöhte Erosion an von H. tuberosus bewachsenen Uferabschnitten kann wasserbauliche Maßnahmen notwendig machen.
4 Maßnahmen
Ob Gegenmaßnahmen notwendig sind, muss auf der Grundlage der konkreten Beeinträchtigungen auf die Tier- und Pflanzenwelt oder die Ufersicherheit am einzelnen Wuchsort entschieden werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich nach der Bekämpfung oft artenarme Hochstaudenfluren, z.B. aus Brennnesseln entwickeln.
4.1 Vorbeugen
Das Ausbringen von gebietsfremden Pflanzen in der freien Natur ist nach dem Bundesnaturschutzgesetz (§ 40 Abs. 4) grundsätzlich genehmigungspflichtig. Wegen der begrenzten Fernausbreitung ist jedoch an gewässerfernen Stellen kein Verzicht auf die Anwendung dieser alten Nutzpflanze notwendig. In der Nähe von Gewässern sollte die Art aber nicht angepflanzt werden und die Anlage von Wildäckern und das (illegale) Ausbringen von Gartenabfällen mit Topinamburknollen vermieden werden.
4.2 Allgemeine Empfehlungen zur Bekämpfung
Topinambur lässt sich relativ gut bekämpfen, meist stellt sich nach den Maßnahmen jedoch eine ähnliche wuchsstarke Vegetation aus wenigen Arten, z.B. der Brennnessel ein. Deren Bestände sind auf den nährstoffreichen Standorten am Ufer ähnlich dicht und verhindern das Aufkommen von Gehölzen ebenso wie der Topinambur. Um das Aufkommen von Gehölzvegetation nach dem Management zu erhöhen, sind deshalb zusätzliche Maßnahmen wie das Pflanzen von Weiden notwendig. Der Erfolg von Maßnahmen liegt vor allem im sorgfältigen Arbeiten: aus übrig gebliebenen Pflanzen können sich die Bestände regenerieren. Bei Flussläufen sollte deshalb, beginnend am Oberlauf, möglichst das gesamte Einzugsgebiet beachtet werden. Besondere Sorgfalt sollte darauf gelegt werden, dass keine Knollenfragmente mit Geräten oder Fahrzeugen weiter ausgebreitet werden.
4.3 Methoden und Kosten der Bekämpfung
In Baden-Württemberg wurden verschieden mechanische Maßnahmen erprobt:
Zweimaliges Mulchen oder Mähen (Ende Juni und August) über zwei Jahre hinweg. Der Abtransport des Schnittguts bringt keinen Vorteil, deshalb wird Mulchen empfohlen. Für große Bestände empfiehlt sich der Einsatz von landwirtschaftlichen Maschinen (Schlepper, Mulchgerät, Fräse). Ob die Flächen befahrbar sind, lässt sich am besten im April erkunden, bevor der Topinambur zu hoch und dicht ist. Andere Flächen, Ränder und kleine Bestände müssen mit dem Freischneider bearbeitet werden, dabei ist der Schnitt möglichst tief zu führen.
Schneller geht Mulchen mit anschließendem Fräsen Ende Juni/Anfang Juli. Diese Maßnahme führt gleich zum Erfolg, es muss aber durch Beobachtung der Knollenentwicklung der Zeitpunkt abgepasst werden, wenn die Knollen des Vorjahres aufgebraucht, aber noch keine neuen gebildet sind.
Auf leichten Böden können kleine Bestände durch Ausgraben der Knollen im Herbst oder durch Herausziehen der Pflanzen im April bekämpft werden, später im Frühjahr bleiben dabei Rhizomfragmente im Boden und können austreiben.
5 Weiterführendes
5.1 Literatur
Hartmann, E., Schuldes, H., Kübler, R. & Konold, W. (1995): Neophyten. Biologie, Verbreitung und Kontrolle ausgewählter Arten. ecomed, Landsberg. S. 221 ff.
Kowarik, I. (2003): Biologische Invasionen: Neophyten und Neozoen in Mitteleuropa. Ulmer, Stuttgart. S. 224 ff.
Wagenitz, G. (ed) (1980): Gustav Hegi. Illustrierte Flora von Mitteleuropa. Band VI, Teil 6: Compositae I. Parey, Berlin. S. 254 ff.
5.2 Bearbeitung
Dieser Artensteckbrief wurde 2003 erstellt von:
Dr. Uwe Starfinger & Prof. Dr. Ingo Kowarik, Institut für Ökologie der TU Berlin
letzte Aktualisierung: 07.01.2016 (Stefan Nehring)